Wer am Faschingsdienstag in Oberstaufen ausgelassenes Maskentreiben und einen bunten Umzug erwartet, der wird vergeblich danach suchen. Statt Kostümen und Maskerade wird an diesem Tag Altstaufner Volkstracht getragen. Der Staufner Fasnatziestag steht ganz im Zeichen eines traditionellen Brauchs, der seinen historischen Ursprung zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges hat, als in der Gegend die Pest wütete. Damit gilt der Staufner Fasnatziestag als ältestes Brauchtumsfest der Marktgemeinde.
Historischer Ursprung des Staufner Fasnatziestags - das verheerende Pestjahr 1635
Im Jahr 1635 herrschten in Staufen Verzweiflung, tiefe Trauer und Trostlosigkeit. Der Krieg um religiöse Vorherrschaft, politische Macht und territoriale Ansprüche, der über Jahrzehnte hinweg in Europa ausgetragen wurde, hatte auch hier seine Spuren hinterlassen.
Soldaten waren durch den Ort gezogen und hatten die Pest eingeschleppt. Von einer ersten Pandemiewelle in den Jahren 1628 bis 1630, die vor allem in Immenstadt und Thalkirchdorf grassierte, war das Staufner Land weitgehend verschont geblieben. Als Dank dafür ließ Graf Hugo von Königsegg-Rothenfels die Kapelle in Weißach errichten.
Doch eine zweite Welle ging auch an Staufen nicht vorüber. Allein in dem halben Jahr zwischen Mai und dem Nikolaustag 1635 sollen in der Pfarrei Staufen 350 Kinder und 356 Erwachsene an der Pest gestorben sein – ein Großteil der Bevölkerung. Die Überlebenden waren von Soldaten ausgeplündert worden, verarmt und litten Hunger.
Die Fahnenstiftung des Hugo-von-Königsegg - Zeichen für einen Neuanfang
Um der geschundenen Bevölkerung Trost und neuen Lebensmut zu spenden, soll Graf Hugo von Königsegg-Rothenfels, unter dessen Herrschaft Staufen damals stand, die jungen Burschen der verbliebenen Familien zu sich ins Schloss eingeladen und bewirtet haben.
Außerdem soll er, so besagt es die mündliche Überlieferung, eine Fahne gestiftet haben, die am Fasnatziestag durch den Ort getragen werden sollte. Trommler sollten den Umzug begleiten, um die Bevölkerung, die sich erschöpft und trübsinnig in ihre Behausungen zurückgezogen hatten, herauszulocken. Denn dieser Tag, so der Auftrag, solle in Gemeinschaft und mit Fröhlichkeit begangen werden, als Zeichen des Neuanfangs und mutigen Zusammenhaltens der Überlebenden – aller Not zum Trotz.
Seither ziehen die unverheirateten Burschen, später auch die Mädel (Föhla), am Fasnatziestag mit der Fahne und begleitet von Trommlern durch Oberstaufen.
Traditioneller Festtag mit geregeltem Ablauf
Der Fasnatziestag wird von der amtierenden Fahnensektion des Fördervereins Staufner Fasnatziestag 1635 organisiert und folgt einem strikt geregelten Ablauf.
Dazu gehört zunächst das Essen der Morgensuppe im Fähnrichhaus.
Anschließend formiert sich der Festzug. Mit Trommlercorps und Blasmusik geht es durch die Straßen der Ortsmitte, vorbei an beflaggten und mit kleinen Fähnchen geschmückten Gebäuden – allen voran der tänzelnde Butz. Um 10 Uhr folgt auf dem Platz vor der Kirche Sankt Peter und Paul ein Festakt, bei dem der Fähnrich an den Fahnenstifter und den Ursprung des Brauches erinnert. Außerdem wird den Kriegsopfern unter den Staufenern gedacht und all jenen, die in den vergangenen Jahrhunderten den Brauch nach den alten Überlieferungen aufrechterhalten haben. Bevor es zum Frühschoppen und zum Mittagessen in die Festlokale geht, darf sich der Fähnrich unter den Blicken der Schaulustigen im Fahnenschwingen beweisen.
Nachmittags um 15 Uhr trifft sich die Festgesellschaft wieder auf dem Kirchplatz, wo die Ma-Tour (Männertour) und die Wiber-Tour („Weiber“- bzw. Frauentour) starten. Paarweise ziehen die verheirateten Männer Arm in Arm mit den unverheirateten Föhla und seit 1919 auch die ledigen Burschen mit den verheirateten Frauen weiter in jeweils getrennte Festlokale. Anschließend kommen alle zum gemeinsamen Tanz wieder zusammen.
Um 18 Uhr begibt sich die Festgesellschaft zum Kirchplatz. Inzwischen ist es dunkel geworden. Die Burschen sorgen mit Fackeln, die Föhla mit Lampions für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Jetzt hat der Butz seinen letzten Auftritt: Er dreht noch ein paar Runden, bevor er beim abendlichen Gebetsläuten auf einen Reisighaufen umfällt und symbolisch den plötzlichen Pesttod stirbt. Unter Trommelwirbel wird er weggetragen. Angeführt vom Fähnrichspaar wird die Fahne heim ins Fähnrichshaus gebracht. Zum abschließenden Tanz mit Française sind dann auch Gäste eingeladen.
Die Figur des Butz - ein Relikt der schwäbisch-allemannischen Fasnet
Eine wichtige Rolle spielt am Fasnatziestag der Butz. Diese Figur ist in der schwäbisch-allemannischen Fasnet verwurzelt und verbindet damit das örtliche Brauchtumsfest mit der regionalen Fasnachtstradition.
Der Butz trägt ein Narrengewand, auch Häs genannt, das mit rautenförmigen Stoffflecken besetzt ist. An seinem Hut und am Gewand sind Schellen angebracht. Wenn er den Umzug tänzelnd und springend anführt, sind diese rhythmisch klingend zu hören. Mit seinem Reisigbesen fegt er über die Schuhe der umstehenden Zuschauer sowie Türstöcke und Eingänge der umliegenden Gebäude und reinigt sie so symbolisch von der Pest. Auch dunkle Mächte und böse Dämonen, die den Winter beherrscht haben, werden so ausgekehrt und vertrieben – so wie es im Fasching, der ja als Frühlingsfest gefeiert wird, Brauch ist.
Großen Spaß haben insbesondere die Kinder mit dem Butz. Diese provozieren ihn scherzhaft mit dem Ruf „Butzbä, juhö!“, woraufhin der Kinderschreck diese spielerisch durch die Straße jagt.
Wenn Sie keine Gelegenheit haben, den Butz auf dem Fasnatziestag zu begegnen, dann schauen Sie doch mal auf der kleinen Grünfläche vor dem Rathaus vorbei. Dort ist er in Form einer Skulptur der Oberstaufener Bildhauer Bentele verewigt.
Gelebte Tradition - ein Erlebnis für Gäste, das im Gedächtnis bleibt
Auch wenn das Fest einen ernsten Hintergrund hat: Die Staufner halten sich an den Auftrag des Hugo von Königsegg und wissen ihren Fasnatziestag fröhlich zu feiern. Man trifft sich in und vor den Festlokalen; es wird gegessen, getrunken und getanzt.
Touristen haben an diesem Tag die Möglichkeit, mitzuerleben, wie traditionelles Brauchtum authentisch gelebt wird – auch und gerade von der einheimischen Jugend, die den Festtag ausrichtet.
Gäste sind eingeladen, als Zuschauer an den Umzügen und öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Ein Teil der Veranstaltungen findet jedoch hinter verschlossenen Türen in Lokalen statt und ist den Mitgliedern und Ehemaligen der Fahnensektion sowie beteiligten Einheimischen vorbehalten. Das verleiht dem Tag auch etwas Geheimnisvolles. In jedem Fall ist es ein Erlebnis, das im Gedächtnis bleibt.