Wer nach Oberstaufen reist, kommt an den Bildhauern Fidelis Bentele und Georg Bentele-Ücker nicht vorbei. Schon an der Ortseinfahrt begrüßen die Posaunenspieler der Skulptur „Weckruf“ die Gäste. Und wenn Sie dann mit offenen Augen durch den Ort gehen, treffen Sie an vielen Stellen auf das kostbare Vermächtnis der beiden Künstler, die hier beheimatet und tätig waren.
Fidelis Bentele: ein Bildhauer im Stile Barlachs
Krankheit als künstlerischer Katalysator
Fidelis Bentele wird am 26. August 1905 im Oberstaufener Ortsteil Buchenegg geboren. Der Sohn eines Landwirts ist ein schwaches, kränkelndes Kind, bei dem im Alter von fünf Jahren eine Hirnhautentzündung ausbricht, an deren Folgen er jahrelang leidet. Als er acht Jahre alt ist, kommt es zu einer vorübergehenden vollständigen Lähmung. Dieses schicksalhafte Ereignis, sollte für ihn nicht nur gesundheitlich lebenslange Folgen mit sich bringen. Eine Lehrerin schenkt dem jungen Bub, der monatelang ans Bett gefesselt ist und deshalb nicht am Schulunterricht teilnehmen kann zum Trost und Zeitvertreib Plastilin. Damit beginnt Fidelis zu kneten und zu modellieren: Krippenfiguren, Gestalten aus der Bibel, aus Allgäuer Märchen und Sagen sowie phantasievolle Köpfe.
Ausbildung: entdeckt und gefördert von Louise Dumont
Eine weitere Begebenheit stellt die Weichen für seinen künstlerischen Weg: die Begegnung mit Louise Dumont, einer bekannten Schauspielerin und Intendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses. Sie wird auf den kreativen Buben aufmerksam, nachdem sie 1919 mit ihrem Mann ein Anwesen bei Kempten erwirbt, auf dem sie ihre Urlaube verbringt und auf dem Fidelis‘ Eltern als Verwalter tätig sind. Dumont erkennt die Begabung des Jungen und nimmt ihn mit nach Düsseldorf und sorgt für seine künstlerische Ausbildung beim Maler und Bildhauer Erich Kuhn auf dem Feldberg im Schwarzwald. Anschließend besucht er die Staatliche Holzschnitzer-Schule in Oberammergau unter der Leitung von Joseph Fassnacht und studiert bei den Professoren der Münchner Kunstakademie Karl Killer und Adolf Fleischmann.
Internationales Renommée als herausragender Bildhauer und Porträtist
Ab 1930 verlegt er seinen Lebensmittelpunkt zurück nach Oberstaufen, unterhält zwischendurch auch ein Atelier in Kempten sowie ein Atelier in München, das 1944 bei einem Bombenangriff samt Inventar zerstört wird. Bekannt wird er, nachdem er 1943 eine Büste von Kardinal Graf von Galen in Münster angefertigt hat. Sein Talent und seine künstlerische Ausdruckskraft auf dem Gebiet des Porträts spricht sich herum und zieht zahlreiche weitere Aufträge berühmter Persönlichkeiten seiner Zeit nach sich. Er reist viel und begegnet kirchlichen Würdenträgern bis hin zu Papst Pius XII., Ärzten, Schriftstellern, Musikern, Malern und Schauspielern, die teilweise auch nach Oberstaufen kommen, um sich von ihm porträtieren lassen. Seine Werke werden in vielen Ländern in zahlreichen Ausstellungen präsentiert und ausgezeichnet, was seinen internationalen Ruf als herausragenden Bildhauer festigt. Neben den Porträts schafft er sakrale Werke, die in Kirchen, Klöstern und Friedhöfen zu sehen sind, sowie eine große Menge profaner Figuren, die sich gut verkaufen. Die künstlerische Handschrift Benteles erinnert an den Stil von Ernst Barlach.
Fidelis Bentele stirbt am 8. Juni 1987 in Oberstaufen, wo er auch beerdigt ist.
>> Bentele deckt die Grundzüge der einzelnen Charaktere auf und läßt das Unverletzbare und Unverlierbare einer Persönlichkeit sichtbar werden, das, was jeder Mensch nur durch geistige Zucht erreichen und bewahren kenn und was diesen letztlich über die leibliche Hinfälligkeit hinaus bestehen läßt.<< Rudolf Musik (1975)
>> Fidelis Bentele scheint nur eine Bewegung zu kennen: von innen nach außen. Eine Erscheinung sagt ihm nichts, wenn sie nicht mir einem in einem in ihm ruhenden Urbild zusammentrifft, ja, er vermag sie dann gar nicht zu sehen, geschweige denn zu erkennen. Alles, was „draußen“ ist, muß er erst in sich selber suchen und finden, bevor er es gestalten kann. In diesem Innern aber existiert es nicht als eine subjektive Ansicht oder als ein unverbindlicher Traum, sondern als eigentliche Wirklichkeit. Das ist sein Geheimnis. Dieser Künstler findet die Wahrheit der Naturdinge und der Menschen in sich selber. Sein Inneres ist wie ein Reservoir, ein Magazin von ungezählten Menschlichkeiten. Und so gelingt es ihm, die Grundformel jedes Menschengesichtes zu finden, das eine Wort, das den Menschen ausspricht, seinen eigentlichen Namen. Dieses magische Wort erscheint ihm im Innern als Antwort auf das ihn anblickende Antlitz. Von da aus dringt sein Auge zu den charakteristischen Einzelzügen, zur sinnlichen und stofflichen Gegenwart der Menschen vor, die es mit aller Klarheit zu erfassen vermag. Das Organ der eigenen Tiefe aber verrät noch mehr, verrät das, was dem Haupt eines Menschen anvertraut ist zur letzten Ausprägung, was aber noch in der Bildung begriffen, was noch im Gestaltlosen schwimmt, was noch nicht erschienen ist. Es ist etwas, was man weder sehen noch wissen kann, was sich nur visionär im Künstler offenbaren kann.<< Arthur Maximilian Miller (1964)
Georg Bentele-Ücker: Schüler, Adoptivsohn, eigenständiger Künstler
Talentierter Bildhauer und Steinmetz
Der am 6. März 1931 geborene Georg Bentele-Ücker wächst auf dem Bauernhof seiner Eltern in Obermaiselstein auf, einem der Allgäuer Hörnerdörfer. Schon früh lernt er von seinem Vater das Holzschnitzen und zeigt Talent, das in seiner Familie durchaus verbreitet ist. Eine künstlerische Ausbildung erhält er zunächst in der Werkstatt des aus Immenstadt stammenden Bildhauers und Kunstmalers Theo Bechteler, der später nach Augsburg geht. Anschließend absolviert er noch eine Lehre beim Steinmetzmeister Emmerich Tapheimer in Weiler.
Symbiotische Zusammenarbeit mit Fidelis Bentele, seinem späteren Adoptivvater
1949 wird Georg Ücker Schüler von Fidelis Bentele, seinem späteren Adoptivvater, in Oberstaufen. Eine 38 Jahre lang währende intensive Zusammenarbeit beginnt, die symbiotische Züge trägt. Bis zuletzt arbeiten die Beiden nicht selten gemeinsam an Kunstwerken: Fidelis Bentele entwirft, Georg Bentele-Ücker führt aus. Dabei bedienen sie sich unterschiedlicher Materialien: Holz, Wachs, Ton, Gips und Bronze. Wenn es um die körperlich anstrengende Bearbeitung von Stein geht, ist ausschließlich das handwerkliche Geschick von Georg Bentele-Ücker gefragt. So entsteht ein umfassendes und einheitliches Œuvre, das sich durch einen klaren und einheitlichen Stil auszeichnet, bei dem auch angesichts der Fülle an Werken der Urheber häufig nicht klar auszumachen ist.
Eigenständige Werke mit gesellschaftskritischen Aussagen
Im Laufe der Zeit entwickelt Georg Bentele-Ücker einen eigenen Stil und emanzipiert sich auch thematisch von seinem Förderer. Er greift Ereignisse der Zeitgeschichte auf und kommentiert das Weltgeschehen, indem er seinen Objekten unverkennbar kritische gesellschaftspolitische Aussagen verleiht.
Georg Bentele-Ücker stirbt im Alter von 83 Jahren am 21. Dezember 2014 in Oberstaufen.
Das Vermächtnis: ein kostbarer Schatz für Oberstaufen
Wertvolle Schenkung: rund 1.200 Werke im Besitz der Marktgemeinde Oberstaufen
Über die Witwe von Georg Bentele-Ücker kommt der künstlerische Bentele-Nachlass per Schenkung in den Besitz der Marktgemeinde Oberstaufen. Bei der Inventarisierung zählt Peter Scheu, der Kurator des Nachlasses, rund 1.200 Werke: von kleinen Miniaturen bis zum hunderte Kilogramm schweren Bronzeguss in Lebensgröße, vom holzgeschnitzten Spiegelrahmen, über empfindliche Gipsmodellen bis zu mehreren hundert Skizzen, Entwürfen und Zeichnungen.
Ein Großteil des Vermächtnisses lagert in Depots und wartet darauf, kunstwissenschaftlich erschlossen zu werden.
Dauerausstellung
"Entwurf & Ausführung, Bentele | Bentele-Ücker"
In der Dauerausstellung auf dem Museumsgelände „Beim Strumpfar“ in Oberstaufen erhalten Besucher einen Einblick in die umfangreiche Sammlung. Etwa 50 Objekte können im Original betrachtet werden, weitere 150 werden digital präsentiert. Sie sollen einen Eindruck vom Querschnitt des Schaffens der beiden Künstler vermitteln.
Die Bentele-Ausstellung befindet sich in der Alpe Vögelsberg, Kalzhofener Straße 14, 87534 Oberstaufen. Besichtigung nach telefonischer Vereinbarung unter 08325-511.
Skulpturen und Großplastiken im öffentlichen Raum
Eine Auswahl der Großplastiken aus dem Besitz der Marktgemeinde hat ihren Platz im öffentlichen Raum von Oberstaufen gefunden. Wobei der Kurator ein besonders sensibles Gespür für den Kontext der Platzierung bewiesen hat. Wer aufmerksam ist, kann weitere Skulpturen aus Privatbesitz in Gärten, an Hauswänden und auf dem Friedhof entdecken. Wir haben eine Übersicht für Sie zusammengestellt und laden Sie zu einem Spaziergang auf den Spuren der Bildhauer Bentele und Bentele-Ücker ein.
Literatur
Die Allgäuer Bildhauer Fidelis Bentele und Georg Bentele-Ücker. Ausstellungskatalog Entwurf & Ausführung Bentele | Bentele-Ücker, Retrospektive. Herausgegeben von der Marktgemeinde Oberstaufen im Mai 2018. 80 Seiten, Preis: 10,00 €. Erhältlich in der Dauerausstellung sowie im Buchhandel.
Fidelis Bentele. Aus der Werkstatt eines Bildhauers. Mit einem Essay von Arthur Maximilian Miller. Maximilian Dietrich Verlag, Memmingen, 1964.
Der Bildhauer Fidelis Bentele. Mit einer Einführung von Rudolf Musik. Verlag Rheinhessische Druckwerkstätte Alzey, 1975.
Der Bildhauer Georg Bentele-Ücker. Heidelberger Verlagsanstalt und Druckerei, 1994.